ELTERN MÜSSEN LEIDER DRAUSSEN BLEIBEN!

Diesen Satz hören Eltern mancherorts, wenn sie die Kita ihrer Kinder betreten wollen. Der Landeselternausschuss teilt in einem mit dem Bildungsministerium und dem Landesjugendamt abgestimmten Schreiben nun mit, dass es nicht legal ist, den Eltern grundsätzlich den Zutritt zu den Räumlichkeiten zu verwehren!

Was steckt dahinter?
Während der Corona-Pandemie wurde in vielen Kindertagesstätten die Regelung eingeführt, dass die Eltern beim Holen und Bringen der Kinder nicht in die Einrichtung dürfen. Aus Gründen des Infektionsschutzes mussten die Kinder mit Sack und Pack an der Tür abgegeben werden. Am Nachmittag durfte man dann sein Kind inklusive, hoffentlich vollständigem Gepäck (es fehlte nicht selten Matschhose, Trinkflasche oder das Lieblingskuscheltier), wieder abholen.
Diese Regelung fand neben Kritikern auch viele Anhänger unter den Eltern. Manche Eltern empfanden es als positiv, die Kinder morgens zuhause einmal einpacken und dann nicht ein paar Minuten später in der Kita wieder auspacken zu müssen. Viele Eltern berichteten auch, dass den Kindern der Abschied auf diese Art einfacher fiele. Andererseits fehlt durch dieses Vorgehen jeglicher Einblick in die Umgebung, in der das Kind einen großen Teil seines Tages verbringt. Der obligatorische Blick in die Kiste mit den Ersatzkleidern oder die Windelbox ist so ebenfalls nicht möglich. Ein kurzes Gespräch zwischendurch mit jemandem vom Team, wie denn der Tag so war und ob es Probleme gab, wird hierdurch ebenfalls deutlich erschwert.

Für das Kita-Personal bedeutet dies einen enormen Mehraufwand, muss doch in der Hol- und Bringzeit immer jemand an der Tür auf die Kinder warten, diese dann umziehen und Utensilien wie Frühstücksbox und Trinkflasche versorgen. In dieser Zeit fehlen die Erzieherinnen dann natürlich auch in den Gruppen. Dennoch überwiegen mancherorts die Vorteile für das Personal, sodass diese Regelung beibehalten wurde. Wo sich Eltern darüber beschweren, wird mit dem Hausrecht argumentiert und im Härtefall mit Kündigung des Betreuungsvertrages gedroht. Man könne sich ja eine Einrichtung suchen, in der einem die Konzeption mehr zusagt.

Landeselternausschuss, Bildungsministerium und Landesjugendamt haben hierzu eine klare, gemeinsame Aussage:

Eltern haben ein grundsätzliches Betretungsrecht der Einrichtung in der Hol- und
Bringsituation. Dieses Recht der Eltern muss die Regel sein und darf nicht nur auf Einfordern gewährt werden
!

Eine pauschale einrichtungsweite und dauerhafte alternative Lösung (z. B. Abgabe des
Kindes im Windfang oder am Gartenzaun) ist gegen den Willen auch einzelner Eltern
grundsätzlich nicht zulässig,

Begründet ist dies u.a. durch den fachlichen Stand der Bildungs- und Erziehungsempfehlungen, wo die Übergabesituation als wesentlicher Bestandteil einer gelebten Bildungs- und Erziehungspartnerschaft definiert ist.

Eltern, denen der Zutritt zur Kita dennoch verwehrt wird, sollten zunächst mit Elternausschuss, Leitung und Träger ins Gespräch gehen. Hierzu darf gerne auch das Schreiben den Landeselternausschusses als Argument mitgenommen werden. Führen die Gespräche nicht zu einer gemeinsamen Lösung, stehen die zugehörigen KEA´s / StEA´s und auch der LEA als Ansprechpartner und Vermittler zur Verfügung. Erst wenn diese Möglichkeiten ausgeschöpft sind, sollten Eltern von ihrem Beschwerderecht beim Landesjugendamt Gebrauch machen.

Hier finden Sie das benannte Schreiben:

Ene, mene, muh und raus bist du

Der Schrei nach Strafen für Fehlverhalten bei Eltern und Kindern hallt durch die Kita-Welt. Vielleicht ein Schrei der Hilflosigkeit? Auf jeden Fall ein Schrei fachlicher Inkompetenz und ein fadenscheiniger Deckmantel für Exklusion von allem, was stört!

„Es könnte alles so einfach sein, wenn da nicht die lästigen Eltern mit den eigenen Alltagsproblemen wären. Und auch die Kinder werden immer mehr zum Störfaktor, wenn sie nicht in den vorhandenen Rahmen passen“, treibt Karin Graeff, Vorsitzende des Landeselternausschusses Rheinland-Pfalz (LEA RLP) die Haltung, die ihrer Ansicht nach hinter dem Heidenheimer Regelkatalog steht, auf die Spitze. Sie und der gesamte Vorstand lehnen das Vorgehen der baden-württembergischen Stadt, durch ein vertraglich geregeltes Sanktionssystem hart gegen Familien durchgreifen zu können, kategorisch ab. Leider beschränken sich solche Praktiken keinesfalls auf andere Bundesländer. „Auch in Rheinland-Pfalz wurden uns bereits erste Konzepte zum geregelten Ausschluss verhaltensauffälliger Kinder vorgelegt“, weiß Graeff zu berichten. „Das gängeln unbequemer Eltern ist ohnehin keine Neuigkeit.“

In der Regel läuft es gut, aber…

„In einem Großteil unserer Kitas arbeiten Team und Träger familienorientiert und darüber sind wir sehr froh und dankbar“, stellt Gordon Amuser, stellvertretender Vorsitzender des LEA, klar. „Allerdings gehen bei uns auch täglich Meldungen ein, die ein deutlich anderes Bild zeichnen.“ Die Palette reicht von Regelverstößen bei den Wahlen von Elterngremien über Vernachlässigung von Trägeraufgaben und Verweigerung von Mitwirkungsrechten, bis zu verletzendem Verhalten in Kitas. Die Auflistung der Fehlverhalten und Sanktionspraktiken ist nicht abschließend.

Beim LEA melden sich nicht nur verzweifelte Eltern, sondern auch Kita-Personal, das die Zustände vor Ort nicht länger hinnehmen kann. Die meisten Fälle sollen anonym behandelt werden, weil die Betroffenen Angst vor weiteren Konsequenzen haben. Oft genug zu Recht, denn sobald sich beratende Instanzen, wie das Jugendamt, bei der Kita gemeldet haben, geht vor Ort die „Hexenjagd“ los. „Die Ursache für die Beschwerde ist in diesen Fällen dann nicht wirklich von Bedeutung“, erläutert Amuser. „Es geht nur noch darum, den „Maulwurf“ zu entlarven und mundtot zu machen.“ Schnell werden Gründe wie Fehlverhalten und Vertrauensverlust gefunden, um die Störenfriede unter Druck zu setzen oder gleich ganz aus der Kita zu schmeißen.

Das entspricht nicht gerade dem gesetzlich verankerten inklusiven Anspruch, der sich uneingeschränkt an alle Kitas in RLP richtet. Hier geht es immerhin darum allen Kindern entsprechend ihren individuellen Fähigkeiten gleiche Entwicklungs- und Bildungschancen zu bieten und das unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Nationalität, ihrer weltanschaulichen und religiösen Zugehörigkeit, einer Behinderung und der sozialen und ökonomischen Situation ihrer Familie. Kitas sollen dabei berücksichtigen, dass jedes Kind auf seine Art besonders ist und Heterogenität, unterschiedliche Lebens- und Familiengeschichten sowie Individuen als Bestandteil des Kita-Alltages auffassen.

Heißt das, es gibt gar kein Fehlverhalten bei Eltern und Kindern?

„Doch, natürlich gibt es das und damit muss auch umgegangen werden“, betont Graeff. „Ein erster Schritt wäre es, von dem Begriff Fehlverhalten beziehungsweise der damit verbundenen ablehnenden Haltung wegzukommen“. In Rheinland-Pfalz gehört die Bildungs- und Erziehungspartnerschaft zu den Grundpfeilern der frühkindlichen Förderung. Dabei geht es darum, für unsere Kinder in den Kitas einen Rahmen zu schaffen, in dem sie sich gesund entwickeln können. Wir haben auch eine gesetzliche Definition, wer dafür zuständig ist: die Verantwortungsgemeinschaft bestehend aus Eltern, pädagogischen Fachkräften, Leitungen und Trägern der Tageseinrichtung sowie die Jugendämter auf örtlicher und Landesebene. Der LEA hält die Arbeit an der Qualität der Zusammenarbeit der Verantwortungsgemeinschaft für die zielführendste Möglichkeit sogenanntem Fehlverhalten zu begegnen. Die Eltern sind dabei keine Konsumenten einer Dienstleistung Kita, sondern Partner auf Augenhöhe. „Überall dort, wo das nicht oder nicht in ausreichendem Maße gelebt wird, hören wir von Unstimmigkeiten zwischen Kita und Familien und dem Wunsch, diese durch Exklusion von Kindern oder Eltern aus dem Weg zu schaffen“, so Graeff. „In solchen Kitas erleben wir besonders häufig die noch immer präsenten Bedenken, Kinder vor ihrem zweiten Geburtstag in eine Einrichtung zu geben“.

Exklusion als unpassendes Überdruckventil

Wenn das Verhalten von Kindern oder Eltern in den Kitas nicht in die eigene Vorstellung passt und als störend empfunden wird, richtet sich der Blick – mit Recht – auch auf die Strukturen im System.

Natürlich steht hier der Personalmangel ganz oben auf der Liste. Dieser gehört definitiv zu den größten aktuellen Herausforderungen für das gesamte Kita-System. Das heißt jedoch nicht, dass er als Rechtfertigung für fachliche und rechtliche Fehltritte herangezogen werden darf. In Rheinland-Pfalz haben Vertreter:innen aller Interessensgruppen des Kita-Systems ein Kompendium zur Fachkräftesicherung und -gewinnung erarbeitet. Dort werden zahlreiche wichtige und vor allen Dingen kurzfristig umsetzbare Lösungsansätze gegen den Personalmangel vor Ort zusammengetragen. Die konsequente Umsetzung des Kompendiums, durch die Verantwortungsgemeinschaft, muss jetzt oberste Priorität haben.

Auch das alte Lied von der „störenden“ Beitragsfreiheit wird wieder gesungen, sobald etwas in den Kitas nicht rund läuft. „Dieses Lied war schon immer ein misstönendes“, weiß Amuser zu berichten: „Die Elterngebühren, die es in Rheinland-Pfalz einmal gab, waren nicht zweckgebunden, sondern flossen in den allgemeinen Haushalt ab. Bei der jüngsten Debatte um die Wiedereinführung der Kita-Elternbeiträge war beispielsweise das Ziel, Geld für den Straßenbau zu generieren!“

Zudem hat die Binsenweisheit „Was nichts kostet, ist auch nichts wert“, die in diesem Zusammenhang immer wieder ins Spiel gebracht wird, in einem System, das Kindern gelebte Demokratie beibringen soll, nichts verloren. „Die Elterngremien auf allen Ebenen arbeiten grundsätzlich unentgeltlich und das oft viele Stunden die Woche. Wir denken nicht diese Arbeit sei nichts wert, nur weil sie nicht von der Kita entlohnt wird und der Kita hier somit keine Kosten entstehen“, führt Graeff aus. „Es geht doch um etwas viel Wichtigeres als Geld. Es geht um unsere Kinder!“ Ganz davon abgesehen, liegt die Strafen-Stadt Heidenheim in Baden-Württemberg, einem Bundesland ohne Beitragsfreiheit, was alleine die fragwürdige Aussage ad absurdum führt.

Statt längst überholte Strukturen und Machtpositionen zu verteidigen oder zurückzuholen, muss sich die Verantwortungsgemeinschaft – überall dort, wo das nicht bereits geschehen ist – dem gesellschaftlichen Wandel stellen und anfangen das zu tun, was schon in ihrem Namen verankert ist: gemeinsam Verantwortung übernehmen.

Qualität, Quantität – eh zu spät?

Landeselternausschuss warnt vor kurzsichtigen Forderungen und verlangt stattdessen eine konsequente Umsetzung der bestehenden Möglichkeiten

Der Verband KiTa-Fachkräfte Rheinland-Pfalz erklärt in seinem Positionspapier die Kita-Betreuung in Rheinland-Pfalz als „weitab von Mindeststandards für eine gute pädagogische Qualität“ und dass eine kindgerechte frühpädagogische Bildung und Betreuung erst noch etabliert werden müsse. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler warnen vor der qualitativen Abwärtsspirale und einem bevorstehenden Kita-Kollaps.

Dr. Karl-Heinz Frieden, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Gemeinde- und Städtebundes, hingegen schreibt, dass die Standards im Bereich der Kindertagesbetreuung zu hoch seien und „flexibilisiert“ werden sollten, um den weiteren Kita-Ausbau voranbringen zu können.

Na was denn nun? Erst Qualität? Erst Quantität? Oder ist es schon zu spät?

„Zu spät kann und darf es niemals sein. Denn das würde bedeuten, dass wir unsere Kinder aufgeben“, betont Karin Graeff, Vorsitzende des Landeselternausschusses Rheinland-Pfalz (LEA RLP). „Und was die Qualität-vs.-Quantität-Frage betrifft, haben wir nicht vor uns zu entscheiden!“
Unsere Kinder brauchen JETZT Bedingungen, unter denen sie sich gesund entwickeln und so später einmal zu aktiven und verantwortungsbewussten Mitgliedern der Gesellschaft werden können.

„Wir können dabei weder erst auf Quantität setzen und dann mal schauen, ob wir die Qualität noch irgendwie nachholen können. Noch können wir erst mal abwarten, bis alle Faktoren für maximale Qualität vorliegen und bis dahin darf dann nur eine kleine Auswahl Privilegierter die Kita besuchen“, stellt Gordon Amuser, stellvertretender Vorsitzender des LEA, fest, denn beide Faktoren gehen Hand in Hand. „Wenn wir etwas Anderes propagieren, ist es für viele Kinder tatsächlich zu spät. Wir reden hier ja nicht von Kartons, die eine Zeit lang unter weniger idealen Bedingungen abgestellt werden, bevor das perfekte Lager entstanden ist. Diese modern vor sich hin! Wir reden von unseren Kindern und damit unserer aller Zukunft, die wir hier leichtfertig durch das Aufschieben des Notwendigen aufs Spiel setzen“.

Qualität und Quantität werden zur gleichen Zeit gebraucht. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Daher haben zahlreiche Träger, Leitungen, Fachkräfte und Eltern bereits lange vor Einführung des neuen KiTa-Gesetzes gehandelt. Sie haben ihre Kitas zukunftsorientiert aufgestellt und sich selbst darum gekümmert, dass sie den Rahmen bekommen, den sie vor Ort brauchen. Sie beweisen jeden Tag aufs Neue, dass es möglich ist. „Klar ist das Arbeit, aber es ist sicherlich eine lohnendere Arbeit, als ständig im Mangel zu agieren und so seinen Aufgaben nicht gerecht werden zu können“, führt Graeff aus. „Genau das passiert aber, wenn ich abwarte, ob ich irgendwann zum Handeln gezwungen werde. Oder wenn ich darauf warte, dass ein Gesetz vom Himmel fällt, das die Scherben wegräumt, die entstanden sind, weil ich in der Vergangenheit einfach nicht meine Hausaufgaben gemacht habe“.

Ein ganz wichtiges Instrument für alle Kita-Akteurinnen und Akteure ist das Kompendium des Aktionsforums Fachkräftesicherung und -gewinnung. Es wurde von den Vertreterinnen und Vertretern aller Interessensgruppen des Kita-Systems in RLP erarbeitet und enthält zahlreiche Ansätze, um mit den aktuellen Herausforderungen umzugehen. „Wir haben mit Sicherheit noch nicht das perfekte Kita-System“, so Amuser. „Was wir jedoch haben, ist ein System mit vielen, den handelnden Personen zum Teil noch unbekannten, Möglichkeiten. Diese müssen wir gemeinsam nutzen, statt nur darauf zu warten, dass erst mal andere handeln, bevor wir selbst aktiv werden.“

Qualität, Quantität – eh zu spät? – LEA (lea-rlp.de)