RECHTSANSPRUCH AUF KITA-PLATZ VON SIEBEN STUNDEN — MEHR NICHT?

Immer häu­fi­ger wer­den wir mit der Fra­ge kon­fron­tiert, wie viel Betreu­ungs­zeit den Kin­dern in rhein­land-pfäl­zi­schen Kitas denn zusteht. Im (mitt­ler­wei­le nicht mehr ganz so) neu­en Kita-Gesetz ist in §14 hier­zu fol­gen­des zu lesen: “[…] mon­tags bis frei­tags eine täg­li­che Betreu­ungs­zeit von regel­mä­ßig durch­gän­gig sie­ben Stun­den […]”.
Bei vie­len die­ser Anfra­gen han­delt es sich um Eltern, die ent­we­der auf­grund grund­sätz­lich nicht bedarfs­ge­rech­ter Betreu­ungs­zei­ten, wegen häu­fi­ger Kür­zung der Öff­nungs­zei­ten oder gar voll­stän­di­gen Schlie­ßun­gen der Kita im beruf­li­chen Kon­text in die Bre­douil­le gera­ten und das Gespräch mit den Ver­ant­wort­li­chen der Kita suchen. Sehr häu­fig erhal­ten die­se Eltern die sinn­ge­mä­ße Ant­wort: “Ihnen ste­hen ohne­hin nur sie­ben Stun­den zu, sei­en Sie doch froh, dass Sie nor­ma­ler­wei­se mehr Betreu­ung bekommen!” 

Aber ist das wirk­lich so?
Das Deut­sche Insti­tut für Jugend­hil­fe und Fami­li­en­recht (DIJuF) hat sich die­ser Fra­ge in einem Rechts­gut­ach­ten gewidmet.


Neben (bzw. über) dem Rechts­an­spruch aus dem Kita-Gesetz RLP besteht ein bun­des­recht­li­cher Anspruch, der im Kin­der- und Jugend­hil­fe­ge­setz (SGB VIII) for­mu­liert ist. Bereits im Jah­re 1996 wur­de im §24 SGB VIII fest­ge­hal­ten, dass alle Kin­der ab dem voll­ende­ten drit­ten Lebens­jahr Anspruch auf eine bedarfs­ge­rech­te För­de­rung in einer Kin­der­ta­ges­stät­te haben. Seit dem 1. August 2013 gilt die­ser Rechts­an­spruch auch für alle Kin­der ab dem voll­ende­ten ers­ten Lebens­jahr.
Dort ist u.a. zu lesen, dass ein Kind “bis zur Voll­endung des drit­ten Lebens­jah­res Anspruch auf früh­kind­li­che För­de­rung in einer Tages­ein­rich­tung oder in Kin­der­ta­ges­pfle­ge” hat. “Der Umfang der täg­li­chen För­de­rung rich­tet sich nach dem indi­vi­du­el­len Bedarf.”

Für Kin­der bis drei Jah­re gilt also unein­ge­schränkt, dass der ein­klag­ba­re Rechts­an­spruch über die 7 Stun­den des KiTa-Geset­zes hin­aus geht und sich nach den Betreu­ungs­wün­schen der Eltern rich­tet, ohne dass ein indi­vi­du­el­ler Betreu­ungs­be­darf gel­tend gemacht wer­den müss­te — auch nicht mit­tels einer Beschei­ni­gung über die Arbeits­zei­ten der Eltern.
Die Gren­ze für die­sen Bedarf ist das Kin­des­wohl. In der Recht­spre­chung ist aner­kannt, dass eine Fremd­be­treu­ung bis zu 9 Stun­den täg­lich unbe­dingt noch mit dem Kin­des­wohl ver­ein­bar ist. Aber auch für Betreu­ung bis zu zehn Stun­den müss­te eine Ableh­nung fun­diert begrün­det werden.

Für Kin­der ab drei Jah­ren ist im SGB VIII der zeit­li­che Umfang der Betreu­ung nicht ein­deu­tig gere­gelt. Hier greift dann aller­dings Lan­des­recht, wel­ches den Rechts­an­spruch auf sie­ben Stun­den durch­gän­gig kon­kre­ti­siert. Den­noch muss das Jugend­amt “zwin­gend in der Bedarfs­pla­nung das The­ma von Kita-Plät­zen mit Betreu­ungs­um­fän­gen von acht Stun­den und mehr behan­deln, um sei­ner Hin­wir­kungs­pflicht im Bereich der Ganz­ta­ges­plät­ze für Kin­der ab dem drit­ten Geburts­tag bis zum Schul­ein­tritt nach­zu­kom­men.” (Vgl. “Das rhein­land-pfäl­zi­sche Kita-Gesetz, Hand­buch und Pra­xis­kom­men­tar, Burkhard/Roth).
Hier­bei gilt außer­dem: Der Platz muss tat­säch­lich zur Ver­fü­gung ste­hen und in Anspruch genom­men wer­den kön­nen. Ein unter­schrie­be­ner Betreu­ungs­ver­trag oder die theo­re­ti­sche Ver­füg­bar­keit eines Kita-Plat­zes reicht nicht aus, um den Rechts­an­spruch zu erfüllen.

Erfül­lung des Rechts­an­spruchs bei Schließ­ta­gen und Kür­zun­gen der täg­li­chen Betreu­ungs­zeit
Wie ver­hält es sich mit dem Rechts­an­spruch im Fal­le von ein­zel­nen Schließ­ta­gen oder häu­fi­gen Kür­zun­gen der Betreu­ungs­zei­ten?
Grund­sätz­lich besteht eine Ver­pflich­tung des Jugend­am­tes auch wäh­rend den Feri­en­schließ­zei­ten eine ander­wei­ti­ge Betreu­ungs­mög­lich­keit anzu­bie­ten. Gilt dies auch bei ein­zel­nen Schließ­ta­gen oder ver­kürz­ten Öff­nungs­zei­ten?
Auch hier muss wie­der zwi­schen Kin­dern unter drei Jah­ren und Kin­dern über drei Jah­ren unter­schie­den wer­den. Für Kin­der unter drei Jah­ren gilt: Sobald das Betreu­ungs­an­ge­bot unter den indi­vi­du­el­len Betreu­ungs­be­darf fällt, ist der Rechts­an­spruch nicht mehr erfüllt. Bei Kin­dern über drei Jah­ren ist der Rechts­an­spruch noch gedeckt, wenn die Betreu­ungs­zeit die sie­ben Stun­den erfüllt. Außer es wur­de mit­tels Bescheid eine län­ge­re Betreu­ungs­zeit aus­ge­wie­sen, dann gilt der Rechts­an­spruch als nicht mehr erfüllt, wenn die­ser Platz durch die Schließ­zei­ten nicht mehr voll­um­fäng­lich ange­bo­ten wird.
In ent­spre­chen­den Geset­zes­kom­men­ta­ren wird ver­ein­zelt ver­tre­ten, dass es erwerbs­tä­ti­gen Eltern zuge­mu­tet wer­den kann, ihre eige­ne Pla­nung auf kurz­zei­ti­ge Schlie­ßun­gen ein­zu­stel­len bzw. sich in die­sen Fäl­len selbst eine Ersatz­be­treu­ung zu orga­ni­sie­ren. Dies setzt aller­dings vor­aus, dass der­ar­ti­ge kurz­zei­ti­ge Unter­bre­chun­gen des Kita-Betriebs recht­zei­tig bekannt gege­ben wer­den. “Recht­zei­tig” ist in die­sem Fal­le nicht quan­ti­ta­tiv defi­niert, es dürf­te aber unstrit­tig sein, dass die Info am Abend davor oder gar am Mor­gen an der Kita-Tür nicht aus­rei­chend Vor­lauf­zeit bedeu­tet.
Das DIJuF geht dage­gen davon aus, dass Eltern nur in engen Gren­zen ver­pflich­tet sind, selbst für eine Ersatz­be­treu­ung Sor­ge zu tra­gen oder ihre Arbeits­zei­ten an die per­so­nal­be­dingt gekürz­ten Öff­nungs­zei­ten der Kin­der­ta­ges­stät­te anzu­pas­sen.
Die­se Ein­schät­zung dürf­te auch das Emp­fin­den vie­ler Eltern tref­fen: Wenn es gele­gent­lich, durch nicht vor­her­seh­ba­re Umstän­de (z.B. eine Krank­heits­wel­le), zu kurz­fris­ti­gen Aus­fäl­len kommt, ist das Ver­ständ­nis und die Bereit­schaft, auf den Betreu­ungs­an­spruch zu ver­zich­ten, oft sehr groß. Per­ma­nen­te Per­so­nal­nö­te füh­ren aller­dings auch bei berufs­tä­ti­gen Eltern zu Nöten und deu­ten auf struk­tu­rel­le Unstim­mig­kei­ten hin. Mit jeder kurz­fris­ti­gen “Not­be­treu­ung” sinkt auch das Ver­ständ­nis der Eltern.

Im Rechts­gut­ach­ten des DIJuF fin­den sich ergän­zend Infor­ma­tio­nen dazu, ob den Eltern Ersatz­an­sprü­che in Geld zuste­hen, wenn ihnen bei ver­rin­ger­ten Öff­nungs­zei­ten oder Schließ­zei­ten kei­ne Ersatz­be­treu­ung ange­bo­ten wird. 

Fazit
Auch im Rechts­an­spruch spie­gelt sich die hohe Kom­ple­xi­tät des Kita-Sys­tems wie­der. Die schlich­te Redu­zie­rung auf die Ansprü­che aus dem rhein­land-pfäl­zi­schen KiTa-Geset­zes greift aber ins­be­son­de­re bei Kin­dern unter drei Jah­ren deut­lich zu kurz. Die Bestre­bung, Kita-Plät­ze grund­sätz­lich auf sie­ben Stun­den Betreu­ungs­zei­ten zu begren­zen, ist aus meh­re­ren Grün­den kei­ne gute Lösung. Neben den zahl­rei­chen recht­li­chen Aspek­ten, die dage­gen spre­chen, wür­den sich Trä­ger zudem selbst in Bedräng­nis brin­gen. Bei regel­mä­ßi­ger Arbeits­zeit der päd­ago­gi­schen Fach­kräf­te von 39 Stun­den / Woche bedeu­tet eine Redu­zie­rung auf 35 Stun­den Kita-Öff­nungs­zei­ten näm­lich eine Lücke bei der Per­so­nal­kos­ten­er­stat­tung. Auch Kin­der über drei Jah­ren haben ein Anrecht auf eine bedarfs­ge­rech­te För­de­rung in einer Kin­der­ta­ges­stät­te, die über sie­ben Stun­den hin­aus gehen kann.

Ers­ter Ansprech­part­ner bei einem nicht bedarfs­ge­rech­ten Kita-Platz ist immer das zustän­di­ge Jugend­amt, nicht die Lei­tung oder der Trä­ger der Kita. Im Zwei­fel soll­ten sich betrof­fe­ne Eltern recht­lich bera­ten lassen.

Quel­len:

Stel­lung­nah­me des DIJuF zum Geset­zes­ent­wurf der CDU
Rechts­gut­ach­ten des DIJuF
Pra­xis­kom­men­tar zum KiTa-Gesetz

VORRÜBERGEHENDE BELEGUNG VON U2-PLÄTZEN MIT Ü2-KINDERN BIS ENDE 2028 MÖGLICH

Newsletter

In sei­nem aktu­el­len Rund­schrei­ben teilt das Lan­des­ju­gend­amt mit, dass die Über­gang­re­ge­lung zur vor­über­ge­hen­den Bele­gung von U2-Plät­zen mit Ü2-Kin­dern bis Ende 2028 ver­län­gert wurde.

Grund­sätz­lich gilt: Voll­endet ein Kind das zwei­te Lebens­jahr hat es einen Rechts­an­spruch auf einen bei­trags­frei­en Ü2-Platz. Hier­für muss ent­spre­chend ein sol­cher Ü2-Platz in der Kita frei sein. Ist dies nicht der Fall, müss­te das Kind in der Theo­rie mit dem zwei­ten Geburts­tag die Kita ver­las­sen. In der Pra­xis ist daher im Rah­men der Bedarfs­pla­nung zu beach­ten, dass für jedes U2-Kind, wel­ches in der Kita auf­ge­nom­men wird, auch ein Ü2-Platz vor­ge­hal­ten wird. Ins­be­son­de­re dort, wo die Anzahl der Kin­der die Platz­ka­pa­zi­tä­ten erreicht (oder über­steigt), führt das in der Regel dazu, dass kei­ne U2-Plät­ze ange­bo­ten wer­den können. 

Die­se Über­gangs­re­ge­lung ist lei­der kein Garant dafür, dass mehr U2-Plät­ze ent­ste­hen, kann aber im Ein­zel­fall eine mög­li­che Lösungs­op­ti­on sein, um die Auf­nah­me eines U2-Kin­des zu ermöglichen.

Das Rund­schrei­ben steht hier zum Down­load zur Verfügung:

KITA-PLATZ-KLAGE FÜHRT FAST IMMER ZUM ERFOLG

Der Rechts­an­spruch auf einen Kita-Platz ab dem ers­ten Lebens­jahr besteht in Rhein­land-Pfalz mitt­ler­wei­le seit elf Jah­ren. Trotz die­ser gesetz­li­chen Rege­lung fin­den vie­le Eltern kei­nen Platz für ihr Kind, was ins­be­son­de­re in städ­ti­schen Regio­nen zu erheb­li­chen Pro­ble­men führt. In den letz­ten Jah­ren hat sich die Situa­ti­on zuneh­mend ver­schärft, und immer mehr Eltern sehen sich gezwun­gen, recht­li­che Schrit­te ein­zu­lei­ten, um ihren Anspruch auf einen Betreu­ungs­platz durchzusetzen.

Seit 2021 ist ein deut­li­cher Anstieg der Kla­gen gegen Kom­mu­nen zu ver­zeich­nen. Beson­ders betrof­fen sind Bal­lungs­ge­bie­te, in denen die Nach­fra­ge nach Kita-Plät­zen die Kapa­zi­tä­ten deut­lich über­steigt. Der Man­gel an ver­füg­ba­ren Betreu­ungs­plät­zen wird durch ver­schie­de­ne Fak­to­ren ver­ur­sacht. Die Städ­te und Kom­mu­nen sind dem gestie­ge­nen Bedarf nicht gewach­sen, der Aus­bau der Betreu­ungs­ka­pa­zi­tä­ten schrei­tet nicht mit dem erfor­der­li­chen Tem­po vor­an. Hin­zu kommt ein Man­gel an Fach­kräf­ten, der die Deckung der stei­gen­den Betreu­ungs­be­dar­fe zusätz­lich erschwert.

Rechts­an­wäl­te, die sich auf die­se Fäl­le spe­zia­li­siert haben, berich­ten von einer hohen Erfolgs­quo­te bei den Kla­gen. Das Ver­fah­ren läuft in der Regel ähn­lich ab: Eltern mel­den ihren Betreu­ungs­be­darf beim Jugend­amt an, erhal­ten jedoch kei­nen Platz und for­dern dann einen schrift­li­chen Ableh­nungs­be­scheid an, auch wenn die­ser oft nicht aus­ge­stellt wird. Auch ohne for­mel­len Bescheid kön­nen die Eltern recht­lich gegen die Bedarfs­pla­nungs­be­hör­de vor­ge­hen, meist erfolg­reich. In vie­len Fäl­len wer­den die Kla­gen im Eil­ver­fah­ren ent­schie­den, wodurch den Eltern inner­halb weni­ger Wochen ein Platz zuge­wie­sen wird. Das Gericht prüft dabei, ob der zuge­wie­se­ne Platz inner­halb von 30 Minu­ten mit öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln erreich­bar ist, wobei Eltern den zuge­wie­se­nen Platz anneh­men müs­sen, auch wenn er nicht ihrer ers­ten Wahl entspricht.

Obwohl die Kla­gen eine Lösung für die betrof­fe­nen Fami­li­en bie­ten, bleibt die Grund­pro­ble­ma­tik bestehen: Der Man­gel an Kita-Plät­zen und Fach­kräf­ten sorgt dafür, dass die War­te­zei­ten für alle Kin­der stei­gen. Das Bil­dungs­mi­nis­te­ri­um sieht die Ver­ant­wor­tung für die Bereit­stel­lung von Betreu­ungs­plät­zen bei den zustän­di­gen Trä­gern der öffent­li­chen Jugend­hil­fe, also den Städ­ten und Land­krei­sen, und betrach­tet den Anstieg der Kla­gen nicht als besorg­nis­er­re­gend, da er den Zweck des Rechts­an­spruchs wider­spie­ge­le. Den­noch führt dies zu einer Umver­tei­lung vor­han­de­ner Plät­ze, ohne dass tat­säch­lich neue Kapa­zi­tä­ten geschaf­fen wer­den, was die ange­spann­te Situa­ti­on auf lan­ge Sicht nicht löst.